Raus aus dem Kaninchenbau
Unser Geschäftsführer für Digital und Business Intelligence Markus Pöttinger erklärt im HORIZONT dialog 4/2021, wie das Modell zur Untersuchung von Kundenwanderungen gleichzeitig die Kundenzufriedenheit und den Umsatz stärkt.
Gut die Hälfte der Chief Marketing Officers (56 Prozent) hat laut einer Studie der Unternehmensberatung Capgemini vom vergangenen Oktober keinen ausreichenden Zugriff auf Kundendaten. Das steht im krassen Widerspruch zu der Bedeutung, die dem datengetriebenen Marketing zugesprochen wird. Nur 12 Prozent der insgesamt 1600 Befragten in 14 Ländern würden sich als „führend“ in diesem Bereich bezeichnen. Diese kleine Gruppe ist überwiegend (93 Prozent) mit dem Erfolg ihrer Marketingmaßnahmen „sehr zufrieden“. Bei mehr als der Hälfte (54 Prozent) übertreffen die Vorteile des datengetriebenen Marketings gar die Erwartungen und ein gutes Drittel (35 Prozent) erzielt nach eigenen Angaben höhere Umsätze als traditionelle Marketer.
Tatsächlich nutzen viele Unternehmen heute schon Analyse-Tools, um datengetrieben Kampagnen zur Gewinnung und Loyalisierung von Kunden aufzusetzen. Klassischerweise werden hierfür die besten Kunden oder die umsatzstärksten beziehungsweise profitabelsten Kampagnen herangezogen, um analytisch herzuleiten, wie das Marketing optimiert werden kann. Eine grundsätzliche Frage stellt sich jedoch schon zu Beginn: Was zeichnet einen wirklich guten Kunden aus? Ist es der mit dem höchsten Umsatz oder der mit den meisten Käufen? Spannend ist natürlich auch die Frage, was getan werden musste, um den Kunden zu einem Kauf zu bewegen. Hätte er auch von allein gekauft? Würden ohne Customer- Relationship-Management (CRM) vielleicht sogar mehr Kunden kaufen?
Die zur Beantwortung dieser Fragen notwendigen Analysen geben immer weitere Fragen auf. Nicht selten passiert es, dass sich Marketingmanager im Kaninchenbau der Analysen verlaufen und die Komplexität der Analyse-Ergebnisse die menschliche Auffassungsgabe überschreitet. Um eine solche Überforderung zu vermeiden, setzen wir ein Modell zur Untersuchung der Kundenwanderung ein.
Dieses Modell vereinfacht die vielschichtigen Analysen, indem eine auf alle Geschäftsbereiche und Branchen anwendbare Struktur eingesetzt wird. Sie lässt sich so beschreiben: Es gibt einen Markt, in dem neue Interessenten und Kunden gewonnen werden. Im Lauf der Zeit werden aus einigen Interessenten wiederum Kunden. Die Kunden, die zum ersten Mal bei einem Unternehmen kaufen, nennen wir Neukunden. Nachdem ein Neukunde etwas gekauft hat, erfolgt idealerweise ein weiterer Kauf, und er wird zum Bestandskunden. Sollte er nichts kaufen, wandert er in die Inaktivität. Aber auch bereits inaktive Kunden können jederzeit wieder etwas kaufen und werden somit wieder zu aktiven Kunden.
Zu jeder Veränderung gehören ergänzende Informationen (Produkte, Kauf-Informationen, Anstöße durch Werbung, Verweildauern). Die Beobachtung dieser Abläufe über eine längere Zeit in einer aggregierten Form führt dazu, dass sich Kundenströme und Veränderungen erkennen lassen.
Diese vereinfachte Sicht auf die Kundenströme erklärt im Großen und Ganzen, warum etwas passiert. Wir können daraus ableiten, auf welche Kanäle, Kundengruppen und Produkte sich das CRM konzentrieren soll, welche Maßnahmen unverändert weiterlaufen können und welche man besser sein lässt. Diese Erkenntnisse werden dann in eine CRM-Strategie überführt, die immer wieder als Leitlinie für künftige CRM-Entscheidungen und -Maßnahmen herangezogen wird.
Entlang der CRM-Strategie kann die operative Umsetzung geplant werden, ohne die Übersicht zu verlieren. Im Fall eines Filialisten beispielsweise wurden inaktive Kunden mit Postkarten und geeigneten Angeboten reaktiviert. Dabei wurden unterschiedliche Ansprachen getestet und die Maßnahmen optimiert. Das Ergebnis: Eine um 56 Prozent höhere Marge in diesem Kundensegment und ein siebenstelliger Zugewinn an Umsatz.
Der strukturierte Aufbau dieses Modells der Kundenwanderung bietet eine gute Grundlage, um langfristig die Entwicklung des CRM im Auge zu behalten und bei Bedarf die Strategie anzupassen. Durch seine Interaktivität lassen sich Vorjahresvergleiche durchführen, relevante Zusatzinformationen einblenden und wichtige KPIs im Zeitablauf verfolgen. Das aus dem Modell resultierende Gesamtbild führt dazu, CRM strategischer und langfristig zu betrachten – weniger als Ad-hoc-Maßnahme, mit der kurzfristige Umsatzziele erreicht werden sollen.
Gastautor Markus Pöttinger (Geschäftsführer Digital und Business Intelligence)